Freiwilligendienst in Malawi

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Okay, sind wir ehrlich, die Welt wartet nicht auf dich, damit du in jeden noch so kleinen Winkel kriechst. Gerade mit einem ökologischen Gewissen gehören lange Flugreisen nicht zu den Dingen, die man mit eben jenem vereinbaren kann. Dennoch, Auslandserfahrungen sind wichtig. Sie sind nach der Schule der erste Schritt zur Selbständigkeit und die gemachten Erfahrungen prägen einen mit Sicherheit für das künftige Leben. Es ist eine Chance, Verständnis dafür zu bekommen, dass die eigene Schaffenskraft nicht hinterm Gartenzaun aufhört, sondern dass es möglich ist mit völlig unbekannten Menschen, über Sprachbarrieren hinweg, in den Austausch zu treten und gemeinsam Dinge zu erreichen. Kurz gesagt: Auslandserfahrungen erweitern deinen Horizont.

Klar, auch in Deutschland gibt es viele Menschen aus weniger privilegierten Gruppen, die schon früh die Familie unterstützen müssen, durch Krankheit oder anderen Verpflichtungen nicht die Möglichkeit bekommen, eine solche Erfahrung zu machen. Wenn du aber das Glück hast, dir ein Jahr freiräumen zu können, dann mach es! Doch was ist der passende Auslandsaufenthalt für mich? Wie viel möchte ich selbst organisieren und bin dafür flexibler oder möchte ich lieber an einem Programm teilnehmen, was mir wiederum neue Türen aufschließt? Fragen gibt es sicher viele.

Mit dem Programm „weltwärts“ des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung möchte ich eine Möglichkeit vorstellen nach der Schule eine längere Auslandserfahrung zu machen. Weltwärts ist in erster Linie ein Selbstlernprozess und hat in seinem 13-jährigen Bestehen bereits mehrere zehntausend Freiwillige in Länder des globalen Südens entsandt. Dabei ist weltwärts nur der Rahmen und man bewirbt sich direkt bei einer deutschen Entsendeorganisation, die wiederum Partnerinnen in den Zielländern hat. Dort wirst du dann als Freiwillige:r arbeiten. Die Arbeit kann sehr verschieden sein: soziale Berufe mit Kindern und körperlich beeinträchtigten Menschen, aber auch Beschäftigungen im Umweltbereich oder wie bei mir als Schrauber in einer Fahrradwerkstatt.

Die Finanzierung läuft zu Dreivierteln über das Ministerium und der Restbetrag wird meist mit Hilfe eines Unterstützernetzwerkes gesammelt. So kann auch die Teilnahme von finanziell schlechter gestellten Jugendlichen gewährleistet werden.

Spannend noch, es gibt nicht nur den Nord-Süd Austausch mit Freiwilligen aus Deutschland, sondern auch einen Süd-Nord Austausch. Hier kommen Menschen aus dem globalen Süden und bekommen die Möglichkeit, ein Jahr in einer Organisation in Deutschland zu arbeiten.

Weitere Informationen: www.weltwaerts.de  

Meine Erfahrung

Wenn mich jemand fragt, was besonders von meinem „weltwärts“ Jahr hängen geblieben ist, dann überfordert mich diese Frage. Es gab nicht den einen Schlüsselmoment, der für das ganze Jahr steht. Es ist natürlich die Summe an Erfahrungen, ob positiv oder negativ die mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ob es nun das erste Mal Minibus fahren, die Hippies vor meiner Tür oder eben meine tägliche Routine in der Fahrradwerkstatt ist, all das waren Ereignisse, von denen es zu berichten lohnt.

Aber der Reihe nach. Ich habe 2018 mein Abi am MCG gemacht und habe im Jahr danach hier und da gearbeitet… natürlich nicht gefaulenzt. Im Winter 2019 habe ich mich dann bei einer Organisation namens „artefact“ beworben, die junge Menschen mit „weltwärts“ in Länder des Globalen Südens entsendet. „artefact“ kann ich an dieser Stelle auch ruhigen Gewissens weiterempfehlen.

Es gab ein Kennenlerngespräch und nach positivem Feedback von Seiten der Organisation und wiederholt von mir wurde ich zu zwei mehrtägigen Vorbereitungsseminaren eingeladen. Auf diesen wurden wir an Themen des globalen Lernens herangeführt und natürlich wurde viel Organisatorisches besprochen. Alles im allem ein sehr sinnvolles Format aus meiner Sicht, da man eine viel bessere Vorstellung davon bekommt, was man erwarten kann und was von einem erwartet wird. In einer Gruppe mit anderen Freiwilligen hat es zusätzlich richtig Spaß gemacht. Im August 2019 ging es auch schon los und ich fand mich nach einem längeren Flug plötzlich in Malawi – einem Land in Südostafrika - wieder. Ein anderer Freiwilliger und ich wurden am Flughafen von einer erfahrenen Freiwilligen in Empfang genommen, die uns die ersten Tage begleiten sollte. Viele viele Eindrücke prasselten anfänglich auf uns ein - kaum Zeit, um alles angemessen zu würdigen - aber mit dem Glück, dass wir ein ganzes Jahr Zeit hatten, um alles zu entdecken. Marktbesuch mit Aushandeln des Verkaufspreises, Sprachkurs in der Landessprache Chichewa und das erste mal Nsima – ein Maisbrei, den man täglich mit diversen Beilagen zusammen isst, alles aufregende Ereignisse der ersten Tage.

Dann ging es weiter in die Stadt Zomba – meinem neuen Zuhause. Zu Kolonialenzeiten die Hauptstadt gewesen, ist es nun die viertgrößte Stadt (ca. 100.000 Einwohner) des Landes. Übrigens wird man mit der Kolonialzeit immer wieder konfrontiert. Viele Probleme, die es heute in Malawi gibt sind auf die teils blutige Herrschaft des britischen Commonwealth zurückzuführen. Ein absolutes Muss, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, bevor man in ein afrikanisches Land - auch nur in den Urlaub fährt. Ich wohnte in einem gemischten Vorstadtbezirk in meinem eigenen Haus mit kleiner eingezäunter Rasenfläche und nur Kaltwasseranschluss. Meine Nachbarn empfingen mich freundlich und nahmen sich sogar die Zeit, mir Chichewa-Unterricht zu geben. Zur Arbeit bin ich jeden Tag 20 Minuten mit dem Fahrrad gefahren. Das war sehr naheliegend, da erstens: fast alle mit dem Rad unterwegs sind, die es sich irgendwie leisten können und natürlich zweitens: ich in einem Fahrradprojekt gearbeitet habe. Dort bestand meine Aufgabe darin, gebrauchte Fahrräder, die aus Kanada in großen Überseecontainern ankamen, wieder flott für malawische Straßen zu machen. In der Werkstatt war der Verkauf gleich integriert und die Kunden wendeten teilweise mehrere Monatsgehälter auf, um sich ein Fahrrad zu kaufen. Mit den Erlösen haben etwa 10 Menschen eine sichere Beschäftigung und eine Kindertagesstätte wird zusätzlich noch unterstützt. Apropos Fahrrad: So ein Fahrrad eröffnet ungeahnte Möglichkeiten für die meisten Menschen. Es ist eben nicht nur ein nettes Sportgerät, das bei gutem Wetter zu einem Ausflug taugt. Nein, ein Fahrrad in Malawi ist viel mehr.

Zum einen kannst du dich selbst transportieren, zum Beispiel zu deiner weit entfernten Arbeitsstelle oder zur weiterführenden Schule. So musst du teilweise nicht mehr jeden Tag 2 Stunden dorthin laufen, da du dir den Bus nicht leisten kannst. Zum anderen kannst du das Fahrradfahren selbst zu deinem Job machen: mobiler Marktstand, Warentransport oder auch der Transport von Menschen, also Fahrradtaxi, sind beliebte Geschäftsoptionen. Darüber hinaus können Fahrräder auch schlechte Wege bewältigen und haben im Grunde keine Betriebskosten.

Fassen wir zusammen: enorme Zeitersparnis, neue Einkommensmöglichkeiten, Unabhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln, kaum Folgekosten… Ein Fahrrad ist ein erster Schritt zu einem selbstbestimmten Leben. So ein Aufenthalt als privilegierter Freiwilliger aus dem globalen Norden ist aber auch nicht frei von problematischen Fragestellungen. Die bereits angesprochene Kolonialvergangenheit ist stets präsent. Ich als weiße Person bin historisch in einer ganz anderen Machtposition gegenüber Schwarzen Malawier:innen. Dies zeigt sich auch heute noch, indem ich beispielsweise als „Boss“ angesprochen und gefragt wurde, ob ich denn Arbeit hätte. Ich… anfänglich der überfordertste Mensch überhaupt, dem man das sicher auch angesehen hat, bei mir wurde allein aufgrund meiner Hautfarbe darauf geschlossen, dass ich doch ein reicher Gönner wäre, der jemanden prompt einstellen könnte. Das schlimme ist, häufig ist das nicht nur ein Gedankengang aus vergangenen Tagen. Nein, Weiße in Malawi haben eigentlich immer ein überdurchschnittliches Einkommen und arbeiten häufig in gut bezahlten Jobs in Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) oder für andere Hilfswerke. Und da sind wir auch schon beim zweiten Problem eines Weltwärts-Aufenthaltes. Mit deiner Freiwilligenarbeit unterstützt du im Grunde dieses System, indem dieses enorme Machtgefälle aus der Kolonialzeit weiterlebt. Der Postkolonialismus lässt grüßen. Doch auch im Nachhinein betrachtet muss ich sagen, dass für mich ganz klar die positiven Aspekte einer solchen Erfahrung überwiegen. Es ist aber eben unbedingt notwendig, sich vorher und währenddessen über dieses Problematiken in der Entwicklungszusammenarbeit zu informieren und sich zu überlegen, wie man sein persönliches Handeln konkret dagegenstellt. Mir ist das sicher auch nicht immer gelungen, aber allein respektvolles Zuhören über Perspektiven oder Träume von Malawier:innen ist schon ein Anfang. Lass dir diese Lernerfahrung nicht entgehen!